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Das Thema ist interessant, die Botschaft unterstützenswert und relevant, der erzählerische Ansatz originell: Deswegen gehört auch dem neuen Roman von Christopher Kloeble, Das Museum der Welt, wieder meine ganze Sympathie. Das Buch hat viele unbestreitbare Qualitäten – zuvorderst die Tatsache, dass es ganz unaufdringlich viele Lesarten anbietet, vom unterhaltsamen Schelmenroman bis zur klugen Kolonialismus-Kritik. Bei aller Wertschätzung sehe ich allerdings auch das ein oder andere literarische Problem.

Die Grundkonstruktion von Das Museum der Welt beruht auf einem Perspektivwechsel. Veröffentlicht quasi als Nachhall auf das Humboldt-Jahr 2019 (was laut dem Autor aber Zufall ist), thematisiert der Roman eine weitere Entdeckungs- und Forschungsreise des 19. Jahrhunderts, nämlich die Expedition der Münchner Brüder Schlagintweit durch Indien und das Himalaya-Gebiet. Dabei macht Kloeble jedoch nicht die bayerischen Abenteurer zu seinen Romanhelden, sondern erzählt die Geschichte aus Sicht des „mindestens“ zwölfjährigen Waisenjungen Bartholomäus, der die Brüder als Übersetzer begleitet.

Die mit westlicher Arroganz Übersehenen erhalten eine Stimme

Es ist eine wunderbare und durchaus fruchtbare Idee, auf diese Art den dominanten, „weißen“ Diskurs auf den Kopf zu stellen. Kloeble lässt hier eine Figur zu Wort kommen, die in der konventionellen Geschichtsschreibung normalerweise stumm und unsichtbar bleibt. Wer kennt schon die Namen der zahllosen Sherpas, Träger und Dolmetscher, die die Expeditionen berühmter „westlicher“ Männer erst ermöglicht haben; die dabei waren, als so mancher Gipfel zum (vermeintlich?) ersten Mal bestiegen wurde, ohne dass sie in irgendeiner Chronik erwähnt wären? Solchen mit westlicher Arroganz übersehenen Helden eine Stimme zu schenken: Was könnte Literatur Besseres leisten?

Mumbai – damals Bombay – ist Ausgangspunkt der Handlung von Das Museum der Welt. Bild von Giridhar Arasavalli auf Pixabay

Damit einher geht die Tatsache, dass mit den Augen des jungen Erzählers betrachtet nicht etwa das facettenreich, multiethnisch und bunt geschilderte Indien des 19. Jahrhunderts als exotisches Forschungsobjekt erscheint, sondern vielmehr die drei Bayern mit ihren seltsamen Bärten, absonderlichen Angewohnheiten und schwer nachvollziehbaren Denkansätzen. Auch dieses Hinterfragen einer vermeintlichen Norm glückt dem Roman an vielen Stellen und mit einer guten Dosis Humor.

Erhellend gerade für deutsche Leser ist es zudem, wie der Roman ein Stück Kolonialismus-Geschichte lebendig werden lässt. Das Museum der Welt trägt dazu bei, zu verstehen, wie hier Ausbeutung, Rassismus und Chauvinismus am Werke waren, aber auch, wie zerrissen eine kolonisierte Gesellschaft selbst ist, zwischen der Übernahme der Normen der Kolonialherren und dem Widerstand dagegen. Vieles davon trägt bis heute sein Gift in das Verhältnis zwischen dem „Westen“ und seinen ehemaligen Kolonien. Und das ist wichtig zu verstehen – auch für Deutsche, die das Thema Kolonialismus doch tendenziell von sich wegdrängen. Abgesehen davon, dass auch Deutschland Kolonien hatte, werfen die Figuren Robert, Hermann und Adolph Schlagintweit auch die Frage der unmittelbaren deutschen Beteiligung am britischen Kolonialsystem auf – und unterschwellig natürlich die der Verbindungslinie zum Rassismus des Dritten Reichs.

Historisch-politische Aspekte des Kolonialismus überzeugen mehr als Abenteuerplot

Was ich hier gerade trocken und vielleicht moralinsauer kommentiere, bringt Kloeble in seinem Roman nicht etwa mit erhobenem Zeigefinger rüber, sondern ganz entspannt, differenziert und menschlich. Die Brüder Schlagintweit zeichnet er trotz all ihrer zeitbedingten Beschränktheit in ihrer Sicht auf Indien keineswegs als monströse Unterdrücker, sondern gewinnt vor allem Adolph, der zu einer wichtigen Bezugsperson für Bartholomäus wird, auch viele sympathische Seiten ab. Die Schlagintweits sind im Roman genauso ambivalent zu sehen wie ihr ganzes Unterfangen der (magnetischen) Vermessung Indiens.

Verpackt ist das alles in einer Abenteuergeschichte, die man durchaus einfach als solche konsumieren kann. Umso besser, wenn man hinter einer vordergründig spannenden Handlung noch so viel an fundiertem historischen Wissen und Stoff zum Nachdenken über die Welt finden kann.

Was dem Einzelnen nun aus dem großen Angebot, das der Roman den Leser*innen macht, am meisten zusagt, das hängt sicher vom individuellen Geschmack ab. Wie man schon am Schwerpunkt meiner Rezension sieht, haben mich persönlich die historisch-politischen Aspekte stärker angesprochen. Reisebericht sowie Abenteuer- und Spionageplot dagegen haben mich nicht ganz so mitgerissen, weshalb mir die über 500 Seiten doch mitunter etwas lang wurden. Bei einem solchen Umfang sollte sich der Autor hinterfragen, ob sich die Geschichte nicht hätte kompakter erzählen lassen – in diesem Fall wäre es bestimmt möglich gewesen.

Bereichernde Lektüre – doch der Stil ist Geschmackssache

Eine gewisse Problematik birgt auch das Erzählen aus der Perspektive eines Kindes. Ich bin kein großer Freund davon, wenn Autoren sich mit nachgeahmter und dabei meist künstlich wirkender Infantilität selbst beschränken. Das kann natürlich auch manch unverstellten Blick auf die Dinge eröffnen und steht literarisch freilich in bester pícaro-Tradition. Doch in Das Museum der Welt gerät der Autor mehr als einmal in Erklärungsnot, um plausibel zu machen, was für ein überdurchschnittlich begabter junger Mann Bartholomäus doch ist, um trotz seines jugendlichen Alters schon so manchen komplexen Zusammenhang zu durchschauen und altkluge Weisheiten von sich zu geben.

Und das dann auch noch versetzt mit allerlei literarischen Stilmitteln, mit verblüffenden Metaphern, Paradoxa, bon mots… Das war mir dann doch etwas zu viel des Guten. Einerseits ist es bewundernswert, wie viele Ideen für sprachliche Miniatur-Kunststücke Christopher Kloeble eingefallen sind, andererseits wirkt es in der Häufung etwas nervig. Auch wenn der Autor diese Effekte – die sich übrigens inmitten einer ansonsten eher flachen Sprache finden – sicher nicht aus Selbstverliebtheit einsetzt, sondern vermutlich um eine spezifische Art des Denkens oder die Welt zu sehen zum Ausdruck zu bringen.

Insgesamt ist Das Museum der Welt eine bereichernde, den Horizont erweiternde Lektüre, und es gelingt Christopher Kloeble erstaunlich gut, die Fülle und Ernsthaftigkeit des Stoffs mit großer Leichtigkeit zu präsentieren. Stilistisch aber ist nach meinem Empfinden noch etwas Luft nach oben.

  • Christopher Kloeble, Das Museum der Welt, dtv Verlagsgesellschaft, 528 Seiten, 24 Euro.

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