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Das neue Buch von Mario Vargas Llosa ist so belanglos wie das vorige. An dieser Feststellung kommt man auch als Fan leider nicht vorbei. Mit Cinco esquinas (Die Enthüllung) setzt er konsequent die Linie seines Spät-Spätwerks fort, die er mit  Ein diskreter Held begonnen hat. Sanft dahinplätschernde, schlichte Unterhaltungs-Plots, ein Schuss lauwarme Altmacho-Erotik, ein paar Selbstzitate und Reminiszenzen an frühere Romane und routinierte Raffinesse in der Erzähltechnik: Das ist die Mischung, auf die sich Vargas Llosa in dieser Schaffensphase verlegt hat, und mit der er ganz gelassen alle Erwartungen enttäuscht, die seine Leser an den Literatur-Nobelpreisträger und Autor epochemachender Werke wie Das grüne Haus haben mögen.
Aber Stopp: Ein altersschwacher Erzähler Vargas Llosa hat immer noch mehr Saft und Kraft als viele gefeierte aktuelle Literaturstars, die vermeintlich im Zenit ihres Schaffens stehen. Was soll er mit seinen jetzt 80 Jahren auch noch zum großen Coup der literarischen Innovation ausholen, wozu sich noch mal neu erfinden, wenn er nur mit sichtlichem Vergnügen und ohne sich zu überanstrengen in seine schriftstellerische Wunderkiste greifen muss, um noch die eine oder andere leicht verdauliche und solide-vergnügliche Geschichte aus dem Ärmel zu schütteln?
In Cinco esquinas reicht es noch zu ein paar durchaus markanten und berührenden Figuren, die Vargas Llosa mit ein paar Federstrichen skizziert: der vergessene und immer mehr vergessende ehemalige Gedicht-Rezitator und TV-Star wider Willen, Juan Peineta, ist so ein einfacher, aber zärtlich entworfener Charakter. Und auch die kratzbüstige, kühl berechnende und dann aus anspruchsloser Liebe zur Heldin werdende Klatschreporterin La Retaquita lässt den Meistererzähler aufblitzen.
Die beiden gehören zu einem von zwei Handlungssträngen des Buchs, den man als „Politkrimi light“ bezeichnen könnte. Es geht darum, wie das Fujimori-Regime die Klatschpresse benutzt, um politische Gegner kaltzustellen. Wenn die Machtmechanismen und Grausamkeiten in einer Diktatur mal so simpel wären, möchte man sagen… aber gut, das Böse ist ja wirklich oft erstaunlich banal. Auf dieser Ebene ist die Geschichte zwar alles andere als komplex und klischeefrei und bildet sicher auch nur begrenzt die soziale Realität Perus unter Fujimori ab, aber sie ist erzählerisch schlüssig und interessant konstruiert und baut zumindest sanfte Spannung auf.
Daneben und mit einer Figur als Bindeglied gibt’s dann noch den „erotischen“ Erzählstrang rund um zwei reiche beste Freundinnen, die unversehens zu Bettgenossinnen werden. Die lesbischen Spiele beflügeln die Libido des Manns einer der beiden und bringen Schwung ins abebbende eheliche Liebesleben. Kommentar unnötig. Im Licht dieser abgeschmackten Phantasien wirkt im Nachhinein noch so manch andere „frivole“ Passage in früheren Romanen Vargas Llosas ähnlich abtörnend.
Dass die hier beteiligten flachen Figuren zwischendurch auch mal miteinander sprechen, macht die Sache nicht besser: Gar zu trivial und voller Wiederholungen sind die Dialoge. Für die Sorge, wann denn nun endlich der hauseigene Kinosaal fertig wird, vermag ich beim besten Willen kein Interesse aufzubringen. In diesen Passagen wird die Lektüre zäh.
Dafür entschädigt das virtuose Kapitel „El remolino“ („Der Wirbel“) zum Ende des Buchs, das in einer Montage verschiedener Dialoge, wie man sie von Vargas Llosa kennt und liebt, die Geschichten aller gleichberechtigten Hauptfiguren auf den Höhe- und Wendepunkt führt. Da nimmt der ansonsten betuliche Roman plötzlich Fahrt auf.
Für diese Passagen lohnt es sich dann eben doch, immer wieder auf den nächsten Vargas Llosa zu warten. Auch wenn’s mit dem alten Glanz lange vorbei ist.

Mario Vargas Llosa, Die Enthüllung, erscheint auf Deutsch am 10. Oktober 2016 bei Suhrkamp, 300 Seiten, 24 Euro.

spanische Ausgabe Cinco esquinas bei Alfaguara, 300 Seiten, 17,60 Euro.

3 Kommentare zu “Mario Vargas Llosa, Cinco esquinas (Die Enthüllung)

  1. Sehr gute Kritik, auch wenn ich nicht ganz deiner Meinung bin. Die Sexszenen fand ich auch unterirdisch, und ich habe gleich an das unsägliche Don Rigoberto-Buch gedacht, das nicht vor x Jahren nicht mal fertiglesen konnte, weil es so schlimm war.

    Nichtsdestotrotz hat mir die Geschichte gut gefallen. Sie hat nicht die Tiefe und den Anspruch seiner frühen Werke, aber sie war unterhaltsam und hat interessante Blicke in MVL eigene Geschichte geboten. Vielleicht war ich aber auch voreingenommen, weil ich auf der Buchpremiere in Berlin war und die Lesung durch Hanns Zischler so toll fand. MVL fand ich von seiner Art her übrigens eher enttäuschend. Hast du ihn mal live erlebt?

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    • Dankeschön! Don Rigoberto habe ich auch mal gelesen, empfand es damals aber noch nicht so abgeschmackt wie jetzt in diesem Buch – na ja, wahrscheinlich, weil ich jung war und mein literarisches Idol noch nicht in Frage stellte 😉

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