„Nichts für Zartbesaitete“: So wird öfters die (vermeintliche) Qualität von besonders blutigen Thrillern beschrieben. Auf Texte von A. L. Kennedy trifft es ebenfalls zu – allerdings auf eine Weise, die mich deutlich mehr interessiert als etwa die neueste nach Superlativen lechzende Ausschmückung eines Gemetzels. Die schottische Autorin mutet ihren Lesern etwas anderes, Tieferes zu, dem sich zu stellen tatsächlich Mut erfordert: schonungslose Blicke in die Abgründe der menschlichen Seele, Dabei kann es einem reichlich mulmig werden. Das passiert auch in ihrer Erzählung Gleißendes Glück. Ich fand diese vollkommen kitschbefreite Liebesgeschichte auf sehr eigene Art fesselnd.
Gleißendes Glück würde ursprünglich 1997 unter dem Titel Original Bliss in einem Band mit Geschichten, dann als Einzelausgabe veröffentlicht. 2016 wurde das Buch in Deutschland mit Martina Gedeck und Ulrich Tukur in den Hauptrollen verfilmt, weshalb sie nun das unpassend süßliche Cover der mir vorliegenden Taschenbuch-Ausgabe zieren.
Kitschbefreite Liebesgeschichte
Beim Lesen der literarischen Vorlage braucht es anfangs ein wenig, bis man mit den Figuren und der Handlung warm wird. A. L. Kennedy macht es ihren Lesern in der Regel nicht so einfach, sich zum Kern einer Geschichte vorzuarbeiten. Doch es macht auch einen Reiz aus, wie sich manches Stück für Stück enträtselt.
Im Mittelpunkt steht Mrs Brindle. Sie ist eine äußerlich farblose Hausfrau, gefangen in der Hölle der Routinen einer kleinbürgerlichen Vorstadt-Existenz in Glasgow. Ebenso wie ihren Vornamen Helen enthüllt die Autorin dem Leser erst später und en passant, was die eigentliche Tragödie ihres Daseins ausmacht: die Ehe mit einem unterdrückerischen, gewalttätigen Mann.
In eine Krise gerät sie in dieser Situation dadurch, dass sie in der Leere ihres Alltags den Glauben an Gott verloren hat. So etwas wie spirituellen Halt sucht Mrs Brindle in allerlei Ratgeber-Büchern. Und so kommt es auch, dass sie beim Zappen durch die TV-Programme an einem Auftritt des Psychologie-Gurus Edward E. Gluck hängen bleibt. Sie verschlingt erst seine Bücher – und geht dann das Wagnis ein, ihm zu schreiben und ihn auf einem Kongress in Stuttgart zu besuchen. Der profane Schauplatz der schicksalhaften Begegnung ist eine Kennedy-typische ironische Brechung.
Ernsthaftigkeit, wo man Humor erwartet
Das Treffen scheint zunächst erzählerisch auf eine Satire ausgelegt zu sein, die einem schon beim Lesen peinlich ist: Verschüchtertes und für seine Schwärmerei eigentlich zu altes Fan-Girl trifft auf die Karikatur des selbstverliebten Schnösels, der sich den Normalsterblichen überlegen fühlt. Doch A. L. Kennedy bricht gerne die Gewohnheiten ihrer Leser, setzt auf Ernsthaftigkeit, wo man Humor von ihr erwartet (und umgekehrt). Und so verrät sie ihre auf den ersten Blick dem Spott ausgesetzten Figuren nicht, sondern zeigt – bei gleichzeitigem Blick für die Komik der Situation – zwei Menschen in der Würde ihrer Brüche, Defizite, Komplexe und Widersprüche. Helen Brindle und Edward E. Gluck sehen etwas ineinander, und das lässt auch den Leser das Besondere in diesen Figuren erkennen.
Hinter der glatten Fassade des Wissenschafts-Genies Gluck verbirgt sich ein tiefes Trauma durch den Verlust der Mutter und vor allem eine heimliche Porno-Sucht – ein irgendwie schräges Kennedy-Motiv, das die Autorin (zumindest kurz) in krassen Details ausleuchtet und gleichzeitig sensibel und ohne Urteil als Realität des Menschlichen gelten lässt. Genauso, wie sie von Mrs Brindle nicht verlangt, etwas anderes zu sein als diese introvertierte, religiöse, unscheinbare und gegenüber der Gewaltstruktur in ihrer Ehe hilflose Frau. Und doch wohnt ihr offenbar eine große Stärke inne.
Solche verkorksten, gebrochenen und genau darin zutiefst menschlichen Charaktere zu zeichnen, ist ein Markenzeichen von A. L. Kennedy. Sehr charakteristisch ist auch ihre Erzählweise. Die Figuren werden nicht unbedingt psychologisch ausbuchstabiert, vielmehr scheinbar oberflächlich in ihren Dialogen und Handlungen gezeigt. Kennedy überlässt es dem Leser selbst, sich daraus ein komplexes Bild zusammenzusetzen und sich zum Beispiel zu erschließen, warum genau diese beiden gegensätzlichen Hauptfiguren gut füreinander sein können.
Glaubenssuche und Pornosucht
Ihr Stil ist lakonisch, stellenweise von trockenem Humor durchwirkt und doch von einer inneren Wärme. Sie setzt originelle Motive ein, die, wie etwa Helens religiöse Sinnsuche und Edwards Porno-Besessenheit, verquer zueinander zu stehen scheinen. So hält sie den Leser in einem Spannungsfeld aus Befremden und großer Nähe. Sie schaut so genau hin, dass es teils quälend sein kann. Helen und Edward nähern sich extrem vorsichtig und in winzigen Schritten an. Das mag die Geduld manchen Lesers strapazieren, macht für mich in seiner Genauigkeit aber genau das Faszinierende aus.
Inmitten einer zuvor eher zurückhaltenden Dramaturgie hält A. L. Kennedy für den Leser dann noch den ein oder anderen Schlag in die Magengrube bereit. Sie setzt Pointen, diesmal tatsächlich mit einiger physischer, aber noch schlimmerer psychischer Grausamkeit. Eine Wohlfühl-Lektüre ist Gleißendes Glück beileibe nicht. Aber eine, die nachhallt, im Inneren berührt und am Ende auch Hoffnung bereit hält.
- A. L. Kennedy, Gleißendes Glück, Aus dem Englischen von Ingo Herzke, dtv, 189 Seiten, 9,90 Euro.