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Der US-amerikanische Autor Thomas Wolfe starb am 15. September 1938 kurz vor seinem 38. Geburtstag – und damit viel zu früh, um ein umfangreiches Werk zu hinterlassen. Hätte er länger gelebt, hätte er sein großes literarisches Talent möglicherweise noch zu weiterer Vollendung geführt, wer weiß? So aber kann die Nachwelt nur spekulieren, was aus Thomas Wolfe, bekannt vor allem durch den Roman Schau heimwärts, Engel, noch hätte werden können. Einen Hinweis darauf gibt das posthum im Nachlass gefundene und erst 1995 erstmals veröffentlichte Werk Die Party bei den Jacks. Es zeugt – bei aller erkennbaren Unvollendetheit – von der Könnerschaft eines leidenschaftlichen und sprachgewaltigen Schriftstellers.

Die Handlung von Die Party bei den Jacks spielt fast ausschließlich an einem einzigen Tag im Frühling 1928 in New York. Im Mittelpunkt stehen Frederick Jack, ein einst als junger Mann aus Deutschland eingewanderter Jude, der es an der Wall Street zu Reichtum gebracht hat, und vor allem seine Frau Esther, eine erfolgreiche Broadway-Bühnenbildnerin. Wie wir in der deutschen Ausgabe dem Nachwort von Kurt Darsow entnehmen können, hat Thomas Wolfe diese Protagonistin seiner 20 Jahre älteren früheren Geliebten nachempfunden, der mit einem Broker verheirateten Kostümbildnerin Aline Bernstein.

Soziale Schichten im Hochhaus

Nach zwei mit dem Rest des Textes recht unverbundenen Eröffnungskapiteln, die zu Frederick Jacks deutschen Wurzeln zurückführen, setzt der Roman mit der (getrennt ablaufenden) Morgenroutine von Mr und Mrs Jack in ihrer Wohnung in einer der oberen Etagen eines New Yorker Hochhauses ein und strebt von da aus der titelgebenden abendlichen Party entgegen. Dabei entwirft Thomas Wolfe ein kleines gesellschaftliches Kaleidoskop. Der Leser lernt etwa das irische Zimmermädchen Molly kennen, das von Mrs Jack des Diebstahls eines Kleides verdächtigt wird. Ein anderes Kapitel widmet sich dem Leben in den örtlich wie sozial niedrigeren Ebenen im Hochhaus, wenn der Leser die Fahrstuhlführer und Portiers kennen lernt, die sich im Spannungsfeld zwischen dem Sich-Fügen in die gesellschaftlichen Hierarchien und dem gewerkschaftlichen Aufbegehren dagegen befinden.

Bei der Schilderung der Party selbst flanieren dann allerlei schillernde Repräsentanten der New Yorker Finanz- und Kunstwelt durch die Wohnung der Jacks, mitunter trefflich satirisch dargestellt, wie etwa der in Intellektuellenkreisen gehypete Drahtpuppenspieler Piggy Logan, dessen Darbietung nach höchst aufwendigen und in der Wohnung der Gastgeberin mit großem Selbstbewusstsein durchgeführten Vorbereitungen reichlich banal bleibt.

Tanz auf dem Vulkan vor dem Börsencrash

Das soziale Gefüge der späten 1920er-Jahre mit seinem Glamour und schönen Schein, aber auch seinen Ungerechtigkeiten und einem zynischen Wertesystem bewegt sich – aus der Perspektive der Nachwelt und auch des in den 30er-Jahren schreibenden Autors wissen wir es – auf den Kollaps in Form des Börsen-Crashs von 1929 zu. Die Party ist der viel zitierte Tanz auf dem Vulkan. Auf die unterschwellige Instabilität deuten im Roman metaphorisch nicht nur die leichten Erschütterungen des vermeintlich so stabilen Wolkenkratzers durch die im Untergrund hindurchrauschenden Subway-Züge hin, sondern am Ende auch ein Brand, der im Haus ausbricht. Die Überlebensangst hebt für eine kurze utopische Szene alle Unterschiede auf, vereint alle Hausbewohner und -bediensteten über die gesellschaftlichen Grenzen hinweg. Es wird ein vergänglicher Moment bleiben.

Am meisten beeindruckt hat mich an Die Party bei den Jacks Thomas Wolfes überbordende Sprachkunst, wie sie Übersetzerin Susanne Höbel auch im Deutschen erlebbar macht. Die Adjektive türmen sich geradezu wie die Wolkenkratzer in Manhattan. Jedes Detail macht Wolfe in seinen ausufernden Beschreibungen plastisch. Der inneren Bewegtheit beim Blick in die New Yorker Häuserschluchten sind praktisch keine Grenzen gesetzt. In Zeiten, in denen so ziemlich jeder möglichst lakonisch, schlicht und präzise schreiben will, fand ich es sehr wohltuend, wieder einmal zu erleben, wie jemand so in Sprache schwelgt.

In den Häuserschluchten von New York

Geradezu atemberaubend fand ich eine Passage, in der Wolfe minutiös beschreibt, wie das Morgenlicht auf die geometrischen Elemente der Glasfassaden an den Hochhäusern trifft und die messerscharfen Konturen in mannigfaltigen Farben erleuchten lässt. Die Faszination an der Moderne und die Zukunftsgläubigkeit eines Mr Jack erschließt sich da ohne Weiteres. Aber auch den gemütlichen, mit Eleganz genauso wie mit Lebendigkeit erfüllten Vintage-Charme von Mrs Jacks Bibliothek lässt Wolfe höchst kunstfertig vor dem Auge des Lesers erstehen.

Der wenig unterdrückte Pathos mag den modernen Leser freilich auch an der einen oder anderen Stelle irritieren. Anderes franst vielleicht etwas aus. Es mag nicht jedermanns Sache sein, in solcher Ausführlichkeit Mr Jack bei der Morgenrasur und Mrs Jack beim Ausstrecken all ihrer mit überhöhtem Lobpreis geschilderten Gliedmaßen zu beobachten. Die Geduld des Lesers wird öfters strapaziert. Aber aus meiner Sicht wird das meist durch ästhetischen Genuss belohnt.

Einiges wirkt etwas unrund

Schmal ist der Grat zwischen der als Stilmittel eingesetzten Wiederholung und der sprachlichen Redundanz. Wenn ich das gefühlt hundertste Mal lese, wie Mrs Jack als Zeichen ihrer Schwerhörigkeit die Hand ans Ohr hält, dann nervt es mit der Zeit ein wenig. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Wolfes 1995 aufgefundenes Manuskript noch nicht die Endfassung des Romans gewesen sein muss. Spätestens die Hand eines guten Lektors hätte sicherlich noch das ein oder andere, was unrund wirkt, verbessern können. Andererseits ist es spannend, mit der vorliegenden, offenbar in Nachhinein kaum bearbeiteten Version eine Ahnung vom Work in progress eines Autors zu bekommen.

Gegen Ende des Romans – ausgerechnet, als die eigentliche Party in Schwung kommt – hat meine Begeisterung allerdings ein wenig nachgelassen. Vielleicht war ich schon etwas erschöpft vom sprachlichen Überfluss, vielleicht ging mir die Muße aus, und ich habe wohl auch in der Vielzahl der Partygäste etwas die Orientierung verloren. Dazu kann aber auch beigetragen haben, dass Wolfe mir die geschilderten Charaktere nicht ganz so plastisch rübergebracht hat wie vorher Elemente der Architektur und Inneneinrichtung. Für ein wenig Frust beim Lesen sorgt auch, dass sich so gar kein Interesse weckender Plot entwickelt – nichts, was einen Anreiz schafft, über kleine Längen hinweg am Ball zu bleiben.

Dennoch hat mich diese erste Begegnung mit dem Autor Thomas Wolfe nachhaltig beeindruckt. Ohne Zweifel liest man hier einen der ganz Großen der amerikanischen Literatur – der sicher auch noch größer hätte werden können.

  • Thomas Wolfe, Die Party bei den Jacks, Aus dem Amerikanischen von Susanne Höbel, Nachwort von Kurt Darsow, btb Verlag, 352 Seiten, 16,90 Euro.

Ein Kommentar zu “Thomas Wolfe, Die Party bei den Jacks

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