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Zuversicht ist ein ziemlich optimistischer Titel für einen Roman, in dem es um eine ganze Reihe schwerster Schicksalsschläge geht. Dennoch könnte er passender nicht sein. Denn trotz all des Traurigen, das die israelische Bestseller-Autorin Mira Magén in ihrem Buch thematisiert, verbreitet es – auf unverkitschte Weise – beim Lesen ein gewisses Wohlgefühl. Die Zuversicht eben, dass das Leben die Oberhand behält und es immer irgendwie weitergeht.

Mit ihrer unaufgeregten Art des Erzählens schafft es Mira Magén, dem Leser schon den leicht bizarren Ausgangspunkt der Erzählung plausibel zu machen. Die 39-jährige Nava hat ihren Mann und ihren kleinen Sohn durch einen Autounfall verloren. Es ist eine Art von Verweigerung dem Leben gegenüber, dass sie als Reaktion darauf ihr Dasein auf Sparflamme herunterfährt. Die größtmögliche Ereignislosigkeit und Monotonie sucht sie, indem sie in ein Altersheim einzieht und ihren früheren Beruf als Innenarchitektin gegen die mechanische Tätigkeit einer Supermarkt-Kassiererin eintauscht.

Das Leben lässt die Trauernde nicht in Ruhe

Doch die Schmerzvermeidungsstrategie des Versinkens in Bedeutungslosigkeit geht nicht auf. Das Leben lässt Nava nicht in Ruhe. Verschiedene Menschen treten in ihren Alltag: die alleinerziehende sexy blonde Kollegin aus dem Supermarkt; die Nachbarinnen im Betreuten Wohnen, entzückende kuchenbackende Zwillingsschwestern (mit einem alleinstehenden Sohn beziehungsweise Neffen); der in sich gekehrte Tischler, der in der Werkstatt von Navas Bruder arbeitet und ein Geheimnis mit sich trägt; schließlich Navas Tischgenossin im Speisesaal, eine exzentrische Künstlerin.

Nava muss erkennen, dass sie nicht die einzige ist, die ein schweres Schickalspaket mit sich herumschleppt. Fast ohne es zu wollen, knüpft sie neue Beziehungen. Und ehe sie sich’s versieht, findet sie sich inmitten einer amourösen Konstellation zwischen drei Männern.

Mira Magén weiß in Zuversicht, den Leser bei Laune zu halten

Das klingt jetzt in der Zusammenfassung vermutlich nach einem konventionellen Unterhaltungsroman – was Zuversicht in gewisser Weise auch ist. Das Buch ist in einem positiven Sinne unterhaltend. Mira Magén weiß, wie sie den Leser bei Laune hält und baut in schöner Regelmäßigkeit – sagen wir, so alle 60 Seiten – eine neue unerwartete Wendung ein. Ihre Figuren zeichnet sie plastisch und sympathisch, vielleicht einen Tick zu nah am Klischee, aber es treten doch lebendige Individuen vor das Auge des Lesers (das Wiedererkennen bestimmter Typen macht das ja möglicherweise auch leichter).

Mira Magéns große Stärke ist aber, wie sie bei all dem jegliche Süßlichkeit und Sentimentalität umschifft. Der Erzählton ist zurückgenommen, es gibt keine Effekthascherei, und die Art, wie die wörtliche Rede ohne Kennzeichnung in den Fluss der Erzählrede eingebaut ist, hat zum Effekt, dass die Dramatik heruntergefahren wird und alles intimer, innerlicher klingt.

Den Schicksalsschlägen setzt Magén Abgeklärtheit und fein eingestreute Ironie entgegen. Im Altersheim etwa kann Nava auf keinerlei Mitleid ihrer Mitbewohner zählen. Uns, die wir den Holocaust und Israels Kriege durchgestanden haben, kannst du mit deinem kleinen privaten Unglück nicht beeindrucken, schallt es ihr da entgegen. Und auch Navas resolute Schwägerin Jonina – eine heimliche Heldin des Romans – bittet die Witwe wiederholt, dem Rest der Familie nicht stetig ihr Leid unter die Nase zu reiben. „Wir werden es ohnehin nie vergessen.“

Mira Magén wuchs jüdisch orthodox auf

Wunderbar trocken sind auch die Betrachtungen verschiedener Figuren über Gott. Da wird nicht hochtrabend gezweifelt und gehadert – nur mit leichtem Sarkasmus gefragt, ob Gott den Menschen nicht zur Abwechslung einfach einmal in Ruhe lassen könne – und festgestellt, das Dankbarkeit ihm gegenüber fehl am Platze wäre: „Echt, das ist, als wenn eine Gurke dem Gärtner dankt und sich vor ihm verbeugt.“

Deutlich ist aus dem Roman die Stimme einer Autorin herauszuhören, für die – als orthodox jüdisch Aufgewachsene – religiöse Fragen von Bedeutung sind, die im Laufe ihres Lebens aber auch auf Distanz zu so mancher Konvention gegangen ist.

Ohne sich zur großen Philosophin aufzuschwingen oder in literarische Finessen zu versteigen, bringt Mira Magén mit einigen Bildern doch so manches klug auf den Punkt: in der Beschreibung der Trauernden als in Zellophan gewickelten Menschen etwa, oder in Sätzen wie: „Ich gehe in kleinen Schritten, in winzigen, durch einen Tag nach dem anderen, durch eine kleine Gegenwart nach der anderen, im Radius meiner Bleibe in einer betreuten Wohnanlage.“

Manches ist so bodenständig und einleuchtend, dass man es in anderem Zusammenhang als Küchenweisheit abtun würde. Aus Mira Magéns Mund aber klingt es ehrlich, warmherzig und tröstlich.

  • Mira Magén, Zuversicht, Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler, dtv, 432 Seiten, 24 Euro.

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