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Ein Mensch verliert seinen Platz in der Welt, während sich auch das Land, in dem er lebte, selbst verliert. Die Darstellung dieses Prozesses anhand des Untergangs der k.u.k.-Monarchie ist das Thema beider „Trotta-Romane“ von Joseph Roth. Hatte er eine solche Entwicklung in Radetzkymarsch noch in epischer Breite über drei Generationen der Trotta-Familie bis zum Tod Kaiser Franz Josephs dargestellt, dreht er den persönlichen und staatlichen Niedergang in Die Kapuzinergruft in knapperer, dichterer Form noch einmal eine Schraubenumdrehung weiter und schlägt gleichzeitig die Brücke vom historischen Roman bis ganz nah an seine politische Gegenwart, nämlich den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland 1938. In genau jenem Jahr ist Die Kapuzinergruft auch erschienen.

Der Roman ist genauso eindringlich wie der Vorgänger, sprachlich vielleicht noch pointierter und brillanter. Dabei ist der Ton düsterer, desillusionierter geworden. Von der Nostalgie und sanften Ironie, mit denen der Radetzkymarsch melancholisch einer verlorenen Epoche hinterherblickte, ist nicht mehr viel übrig. Eine klare Orientierung, das Eins-Sein mit sich und der Welt, die – wenn auch bröckelnd – den Protagonisten aus dem Kaiserreich in Radetzkymarsch zumindest noch teilweise Halt gaben, fehlen der Hauptfigur in Die Kapuzinergruft von Beginn an.  Es handelt sich um Franz Ferdinand von Trotta, einen Großneffen des Trotta-Ahnherrn Joseph von Trotta.

Franz Ferdinands Idyll, aus dem er vertrieben wird, besteht anfangs aus einem hedonistischen, aber hohlen, ziellosen Bohème-Dasein im Wien vor dem Erstren Weltkrieg. Ein Hauch von einstiger k.-u.-k.-Mulitikulti-Vielfalt und -Verbundenheit weht in sein Leben, als er Besuch von seinem Cousin Joseph Branco aus dem slowenischen Dorf Sipolje, dem Ursprungsort des Trotta-Clans, erhält. Beide freunden sich an, und Franz Ferdinand nutzt seine gesellschaftlichen Connections, um dem Sohn eines Freundes Josephs, des galizischen Juden Manes Reisiger, einen Platz am Wiener Konservatorium zu verschaffen.

Als der Erste Weltkrieg ausbricht, zieht es Franz Ferdinand vor, an der Seite dieser beiden Freunde zu kämpfen statt mit seinen dekadenten Wiener Kameraden und lässt sich in Brancos und Reisigers Regiment versetzen. Bevor er ins Feld zieht, heiratet er noch rasch Elisabeth, in die er verliebt zu sein glaubt. Doch die Ernüchterung folgt unmittelbar nach der Trauung, zum Vollzug der Ehe kommt es zunächst nicht. Glanzlos ist auch Franz Ferdinands Kriegseinsatz. Er und seine beiden Freunde geraten gleich im ersten Gefecht in Gefangenschaft. Später können sie fliehen, doch ihre Freundschaft zerbricht.

Jeder von ihnen wird 1918 allein in die Heimat zurückkehren. In Wien steht Franz Ferdinand vor den Trümmern einer Existenz, die noch gar nicht aufgebaut war, und tut sich schwer mit dem Anschluss an eine Zeit, die ihm davonzueilen scheint und die er nicht verstehen kann – unter anderem repräsentiert durch Elisabeth, die mittlerweile in einer lesbischen Beziehung lebt und mit fadenscheinigem Kunstgewerbe eine eigene Existenz aufbauen möchte.

Homosexualität schildert Roth hier übrigens recht gelassen, ohne Voyeurismus, Skandalisierung oder moralische Wertung, wenn er auch nicht ganz ohne Klischees auskommt. Denn Elisabeths Partnerin Jolanth Szatmary ist ein fast parodistisch überspitztes, überdominantes und gleichzeitig halbseidenes Mannweib. Und es ist auch zu befürchten, dass Homosexualität von Roth hier als Sinnbild für eine Auflösung der „Ordnung“ eingesetzt wird.

Weitere unsympathische Akteure einer sich (zum Schlechten) wandelnden Welt und ihrer verschwindenden Werte sind Elisabeths Vater, ein atem- und skrupellos nach Gewinn strebender Geschäftemacher, sowie ein „Saupreuß“ aus dessen geschäftlichem Umfeld, der den Diskurs mit laut töneneden völkischen Phrasen infiziert. Franz Ferdinands Mutter hingegen ist eine k.u.k.-Österreicherin vom alten Schlag, die ihre Felle davonschwimmen sieht und den Einflüsterern der neuen Zeit erstaunlich wenig entgegenzusetzen hat.

Nein, es ist nicht mehr der Untergang, den Joseph Roth in diesem zweiten Teil seines großen Doppelromans schildert, es ist das Ende. Zum Schluss gibt es kein Österreich mehr. Kaiser Franz Joseph liegt fest eingeschlossen ist der Kapuzinergruft und ist 1938, 22 Jahre nach seinem Tod, nicht mehr als ein Museumsstück. Franz Ferdinand von Trotta betrachtet sich als einen „zu Unrecht Lebenden“, während in Wien die Hakenkreuz-Fahnen gehisst werden und jüdische Bürger die Stadt verlassen.

Das Unheil des Nationalismus und Chauvinismus für Europa und auch die Unbedarftheit und Wehrlosigkeit, mit der seine Heimat in die Katastrophe marschiert, hat Joseph Roth mit hervorragender Klarsicht erkannt und mit großer literarischer Könnerschaft und Leidenschaft sowie richtig eingesetzten Dosen von Humor und Pathos  dargestellt. Die Maske des historischen Romans, die Radetzkymarsch noch trug, ist in Die Kapuzinergruft endgültig gefallen. Hier schildert Roth unverblümt den Weg in seine unmittelbare Gegenwart .

Und wir können und sollten den Roman 80 Jahre später ebenfalls auf unsere Zeit beziehen. Roths Roman schärft den Blick dafür, wie unheilvoll es endet, wenn eine Gesellschaft  vielleicht gar nicht mit bösem Willen, aber ohne eigene Orientierung, ohne Werte, nihilistisch, alles relativierend und in den Tag hinein lebend dahintreibt. Sie hat dann den reinen Materialisten, Vereinfachern und Einpeitschern nichts mehr entgegenzusetzen. An tagespolitischen Beispielen aus aller Welt, Deutschland und Bayern mangelt es im Jahr 2018 beileibe nicht.

  • Joseph Roth, Die Kapuzinergruft, dtv, 192 Seiten, 7,90 Euro. [Abbildung zeigt eine andere alte Ausgabe aus der Familienbibliothek, nämlich: Lizenzausgabe für die Mitglieder des Deutschen Bücherbundes, mutmaßlich 1970er-Jahre]

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