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2017. Deutschland befindet sich im Wahlkampf. Und beklemmender Weise überbieten sich die Bewerber um politische Ämter – fast ganz egal, welcher Partei – gerade darin, von Abgrenzung, Sicherung vor den „Fremden“ sowie „Leitkultur“ und „unseren Werten“ zu schwadronieren. Man hat fast den Eindruck, Xenophobie und Kultur-Chauvinismus seien in diesem Land common sense geworden, und um noch irgendeine Aussicht auf Wählerstimmen zu haben, müsste ein Politiker den Thesen der AfD hinterherhecheln. Da tut die Lektüre eines Buches gut, in dem der Autor ganz unaufgeregt und locker eine Haltung vertritt, die ich bis vor Kurzem noch für selbstverständlich hielt: Unsere Gesellschaft ist bunt, ein Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft ist, wenn auch nicht unbedingt leicht, so doch auf alle Fälle möglich, ja schlicht Normalität – und fraglos sehr bereichernd, denn wir können uns voneinander so einiges abschauen.

Aber ich will nicht den Eindruck erwecken, Home Made in India sei eine hehre Mahnung zum toleranten Miteinander. Christopher Kloebles Buch hat überhaupt nichts Moralinsaures oder Schweres an sich. Es ist eine leichte, unterhaltsame Lektüre, geschrieben mit viel Humor und Selbstironie. Kloeble beschreibt autobiografisch seine Liebesgeschichte mit der indischen Schriftstellerin Saskya Jain, die er 2012 geheiratet hat, und berichtet vom Leben zwischen zwei Wohnorten, Delhi und Berlin, und zwischen zwei Kulturen.

Der große Reiz an dem Buch: Kloeble lässt den Leser teilhaben an seinem Staunen, seiner Faszination und seiner Irritation über das Leben in Indien – und vermittelt umgekehrt dieselbe Außenperspektive auf Deutschland. Wie seltsam kommt es ihm nach einiger Zeit des Lebens in Indien vor, dass Deutsche in der Lage sind, so ganz ohne Rücksicht ein schroffes „Nein“ auszusprechen, wie karg das kulinarische Spektrum der deutschen Küche, wie schwierig die soziale Kontaktaufnahme. Für den deutschen Leser ist es erhellend, diese Außenperspektive auf seine vermeintlich „normale“ Lebensweise vorgehalten zu bekommen.

Und viel Erkenntnisgewinn bringt es, quasi an Kloebles Hand Indien zu erkunden. Der Autor doziert nicht und erklärt Indien auch nicht von oben herab als exotisches Studienobjekt. Vielmehr stellt er immer wieder klar, dass er ursprünglich fast nichts über Indien wusste – sein Ausgangspunkt ist damit auf Augenhöhe mit dem Durchschnittsleser – und er noch immer sehr vieles an dem Land nicht versteht. Sehr witzig ist es, wie er im Gegensatz dazu beschreibt, wie manch Deutscher sich gegenüber Saskya als wahrer Indien-Experte aufspielt, der lustvoll zu einem Vortrag ausholt, um ihr, der Inderin, ihr eigenes Land zu erklären, und dabei doch nur Klischees von sich gibt. Kloeble hingegen lässt den Leser einfach daran teilhaben, wie er mit unverstelltem, unvoreingenommenem Blick die Teilhabe am Alltagsleben in Delhi für sich erobert.

Dass Menschen in mancher Hinsicht ganz anders ticken als man selbst, das ist für Kloeble kein Grund, sich unter ihnen nicht „zu Hause“ zu fühlen. Delhi wird ihm trotz aller Andersartigkeit zur Heimat. Gleichzeitig vermittelt er, dass man sich in einer vermeintlich näher liegenden „Heimat“ ebenfalls ziemlich fremd fühlen kann. Zum Beispiel, wenn man als Hochdeutsch sprechendes Kind in Oberbayern aufwächst und den anderen Kindern im Dorf immer noch als „Zuagroaster“, als Fremder und Außenseiter, gilt, obwohl man nie an einem anderen Ort gelebt hat. Da machen es ihm die Inder unterm Strich schon deutlich leichter, wenn sie ihm nach seiner Heirat offiziell den Status einer „Person of Indian Origin“ zuerkennen.

Neben dem leichtfüßigen Spiel mit den Konzepten von Fremdheit und Heimat besticht an Home Made in India die große Offenheit des Autors. Er gewährt dem Leser authentisch Einblicke in seine Gefühle und zeigt auch seine Schwächen und wunden Punkte – wie seine Sport-Fixiertheit, hinter der ein Stück Angst steckt, wieder der dicke Junge von einst zu werden. Seine Beziehung zu seinen Eltern beschreibt Kloeble warmherzig und doch auch schonungslos. Das Buch wirkt sehr ehrlich, gar nicht kalkuliert. So hat der Leser das Gefühl, dem Autor nahe zu kommen.

Inneres und äußeres Geschehen spricht Kloeble in Home Made in India geradeheraus an, ohne Pathos und zunächst einmal ohne großen doppelten Boden. Daher rührt es wohl auch, dass einige Sätze über den Tölzer Knabenchor Aufsehen erregt haben. So einfach und direkt konnte und wollte offenbar vorher noch niemand aussprechen, unter welcher Art von Psychoterror in einem pädagogischen Machtspiel zwischen Zuckerbrot und Peitsche viele Kinder im Chor gelitten haben. Im Buch ist das nur ein Randthema. Doch die Passagen dürften erlösend für manch anderen Betroffenen sein und könnten sich noch als kleiner Dammbruch erweisen.

Mehr dazu lest Ihr in meinem Interview mit Christopher Kloeble im Tölzer Kurier:

https://www.merkur.de/lokales/bad-toelz/bad-toelz-ort28297/schriftsteller-christopher-kloeble-berichtet-ueber-seine-zeit-beim-toelzer-knabenchor-es-wurden-grenzen-ueberschritten-8690530.html

  • Christopher Kloeble, Home Made in India, dtv premium, 288 Seiten, 16,90 Euro.

 

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