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Ein Geständnis vorweg: Ich bespreche hier nicht die aktuell auf den Markt gekommene, ungekürzte Originalversion von Kleiner Mann – was nun? Ich habe noch ein Exemplar der herkömmlichen Fassung. Aber immerhin: So war das Buch nun mal rund 85 Jahre auf dem Markt, eine gewisse Gültigkeit kann man dieser Variante also nicht absprechen. Auch wenn es sicher spannend wäre nachzuvollziehen, wer was warum gestrichen hat.

So oder so, gewisse Feststellungen gelten sicher für beide Versionen. Kleiner Mann – was nun? ist ausgesprochen mitreißend, man will immer weiterlesen, weil Fallada es versteht, Anteilnahme für seine Figuren zu wecken, und mit viel Drive und Dringlichkeit erzählt. Johannes Pinneberg und seine Emma – sie nennen sich gegenseitig Junge und Lämmchen – sind ein junges Pärchen, das etwas naiv ins Leben hinausstolpert. In ein hartes, feindseliges Leben, wie sich zeigt, denn es herrscht Weltwirtschaftskrise, das Geld ist knapp, und die beständige Angst, aus den ohnehin arg bescheidenen Verhältnissen ganz ins Bodenlose abzurutschen, beherrscht alles. Und so zitternd vor der Armut wird das Paar, dann die Kleinfamilie, zu wehrlosen Opfern für willkürliche, brutale, ausbeuterische Arbeitgeber, denunziatorische Kollegen und arrogant-seelenlose Bürokraten.

Nur die bedingungslose Liebe des patenten und unverbesserlich optimistischen Lämmchens gibt dem gebeutelten kleinen Mann noch Halt und Würde. Als er sich schließlich ganz am Boden und gedemütigt wähnt und glaubt, keinem Menschen mehr ins Gesicht schauen zu können, sagt sie ihm: „Aber du kannst mich doch ansehen!“

Durchaus: Das schrammt an der Grenze des Kitsches entlang. Sentimentalität gehört schon mit zum Gefühlsrepertoire, mit dem Fallada hier ganz schonungslos arbeitet. Doch er hält auch gegen: mit einer abgeklärten Sicht auf die Sexualität, mit unverstellten Dialogen und der Schilderung einer kruden Lebenswirklichkeit, die für Romantik und Rührseligkeit keinen Platz lässt.

Fallada erzählt geradeaus, der Text geht immer nach vorne, ohne zurückzuschauen. Die Sprache ist schlicht, ungeschliffen, nahe am Alltag und der Umgangssprache. Das ist nicht sehr kunstvoll, trägt aber zur gefühlten Authentizität bei. Und die macht die Stärke des Romans aus. Pinneberg und Lämmchen sind Figuren, mit deren Anständigkeit und Unvernunft und Ohnmacht sich wahrscheinlich jeder identifizieren kann. Ihre Geschichte ist so lebendig erzählt, dass man sich mitten hineinversetzt fühlt in die Lebenswirklichkeit im Deutschland Anfang der 1930er-Jahre. Konkreteres über diese Zeit wird man kaum erfahren als etwa den monatlichen Haushaltsplan, in dem Lämmchen alle Ausgaben für Fleisch, Eier, Obst, für Versicherungen, Miete, Heizung, Schuhwerk und „Unvorhergesehenes“ auflistet. Und das ist ja eine hochspannende Frage: Wie lebte es sich, wie war der Alltag, wie die Gefühlslage der einfachen Menschen in jenen Krisenjahren, aus welcher Lebenswirklichkeit heraus konnte das Nazi-Regime erstehen? Pinneberg und Lämmchen werden keine Nazis – Fallada ist weit davon entfernt, den Aufstieg des Faschismus zu rechtfertigen. Aber sie leben in einer gesellschaftlichen Atmosphäre, in der sich Radikalisierung und Gewalt ausbreiten.

Gleichzeitig erlaubt Kleiner Mann – was nun? Einblicke, was die Leser des Jahres 1932 bewegt hat, denn der Roman ist ganz offensichtlich für ein breites Publikum geschrieben, in einer Zeit, in der es vielen Menschen ebenso den Boden unter den Füßen wegzog wie den Pinnebergs.

Seine Direktheit und Unmittelbarkeit kann man gleichzeitig als Teil der Schwächen des Romans begreifen. Dies ist kein Buch der Zwischentöne und der Schattierungen. Auf Feinschliff hat der Autor keinen Wert gelegt. Und während die beiden Hauptfiguren dem Leser sehr nahe kommen, sind sie doch umgeben von oft klischeehaften, fast karikaturartigen Nebencharakteren. So wandelt Fallada auf einem schmalen Grat an der Trivialität entlang, und der Ausschlag in Richtung Gewicht und Tiefe ist hier für mich noch nicht so deutlich wie später in Jeder stirbt für sich allein.

Hans Fallada, Kleiner Mann – was nun?, aufbau taschenbuch, 396 Seiten, 9,99 Euro.

2 Kommentare zu “Hans Fallada, Kleiner Mann – was nun?

    • Ich mag Fallada auch sehr und finde, dass man sich in seine Romane mit Begeisterung reinstürzen kann. Die Kraft seiner Erzählweise ist toll, aber manchmal mag ich’s in der Literatur eben auch ein bisschen leiser.

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